HISTAR®-Stahlstützen im Tragwerk des Berliner Hauptbahnhofs

An seinem historischen Standort im Bezirk Tiergarten, westlich vom Humboldthafen wurde 2006 Europas größter Bahnhof für den Fern-, Regional- und Nahverkehr eröffnet: der Berliner Hauptbahnhof. ArcelorMittal lieferte HD 400-Stützen aus hochfestem Stahl HISTAR® Güte 355 und 460.

Beschreibung

Das zentrale Entwurfsprinzip des Bahnhofs ist die markante Betonung des vorgegebenen Verlaufs der Gleistrassierung im städtebaulichen Raum. Große filigrane Glasdächer sowie zwei überbrückende Bürogebäude setzen dies mit architektonischen Mitteln um.

Die Verkehrsträger des Bahnhofs verteilen sich insgesamt auf drei Ebenen:

  • Ebene -2: Nord-Süd-Fern- und Regionalbahn, U-Bahnlinie U5
  • Ebene ±0: öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), Individualverkehr (Vorfahrt, Kurzzeitparkplätze), Fahrrad- und Fußgängerverkehr, Touristikverkehr (Reisebusse, Schifffahrt)
  • Ebene +1: Fern- und Regionalbahn auf der Stadtbahnstrecke, Stadtbahn S3, S5, S6, S7 und S9


Insgesamt umfasst der neue Berliner Hauptbahnhof eine Fläche von 175.000 m², davon sind ca. 15.000 Handel und Gastronomie vorbehalten, 50.000 m² stehen in den Bügelgebäuden als Büroflächen zur Verfügung, 5.500 m² dienen dem Bahnbetrieb sowie 21.000 m² als Verkehrs- und Verteilfläche. Die Bahnsteige nehmen eine Fläche von 32.000 m² ein, das Parkhaus umfasst 25.000 m².

Die gläsernen Hallen

Die Ost-West gerichtete, 430 m lange Bahnsteighalle wurde in einer Länge von 321 m mit einem großen, filigranen Glasdach überspannt. Sie durchschneidet zwei Gebäudescheiben, die in ihrer Lage und Ausrichtung den unterirdisch gelegenen Nord-Süd-Teil des Bahnhofs im Stadtraum abbilden. Städtebaulich und architektonisch bilden diese sogenannten Bügelgebäude eine Einheit mit den Glashallen des Bahnhofs.

Zwischen den beiden Gebäudescheiben befindet sich die 45 m breite und 159 m lange Bahnhofshalle in Nord-Süd-Richtung, die ebenfalls von einem filigranen Glasdach überdeckt wird. Sie bildet gleichermaßen zum Stadtteil Moabit eine einladende Torgeste wie auch zum Regierungsviertel und übernimmt damit zusätzlich eine stadträumliche Klammerfunktion zwischen Regierungsviertel und Stadtquartier.

Das Glasdach der Nord-Süd-gerichteten Eingangshalle des Bahnhofs ist an die seitlichen Bügelgebäude angebunden. Die gewölbte Glasfläche des Daches wird von 4,70 m hohen Fischbauchträgern getragen, die an dem außenliegenden Tragwerk der Bügelgebäude aufgelagert sind. Der Schnittpunkt der Fernbahnlinien wird durch die anspruchsvolle Ausformung der Stahl-Glas-Konstruktion im Zentrum des Gebäudekomplexes besonders hervorgehoben.

Glasdachkonstruktion der Bahnsteighalle Ost-West

Die oberirdischen, von Osten nach Westen verlaufenden, bogenförmigen Stadtbahnbrücken mit ihren insgesamt sechs Gleisen und den dazwischenliegenden drei Bahnsteigen werden stützenfrei durch eine filigrane Schalenkonstruktion überspannt, die in drei Richtungen gebogen ist. In Längsrichtung sind im Abstand von ca. 1,50 m bis 1,70 m Bogenstäbe angeordnet, die zusammen mit den dazwischen angeordneten Längsstäben nahezu quadratische (bzw. rechteckige) Netzmaschen ergeben. Jede dieser Maschen ist diagonal durch Seile ausgekreuzt und mit Glas eingedeckt. Die Bögen, Längsträger und Diagonalseile bewirken in ihrer Gesamtheit ein schalenartiges Tragverhalten.

Die Schalenkonstruktion wird durch korbbogenartige, biegesteife Rahmen als aussteifende Elemente in regelmäßigen Abständen unterstützt. Um die Transparenz der Bahnsteighalle auch im Bereich dieser Aussteifungsrahmen beizubehalten, sind diese in vorgespannte Seilbinder aufgelöst. Der Seilverlauf dieser Über- und Unterspannungen ist nach der Momentenlinie eines gleichmäßig belasteten Dachbinders geformt und wirkt so der Verbiegung unter den hauptsächlich vertikalen Eigen- und Schneelasten entgegen. 

Bahnsteighallen und Sockelgebäude

Das Bahnhofskreuz ruht auf einem Gebäudesockel, der gleichzeitig die beiden dominanten, diagonalen Gebäudescheiben einbindet. Der rechteckige Sockel ist von allen vier Seiten über Treppenanlagen zugänglich und bietet in einer Höhe von 4,43 m über Straßenniveau öffentliche Freiflächen als Plätze und Verweilzonen, die von den Verkehrsflächen deutlich abgesetzt sind.

Die im Sockel integrierten Gebäudeteile sollen sowohl die stadträumliche Vermittlung zwischen dem Hallenkreuz des Bahnhofs und dem Stadtgebiet übernehmen, als auch den Komplex des Bahnhofs mit weiteren Nutzungen anreichern und damit als wichtiger Impulsgeber für das gesamte Stadtquartier dienen.

Auf der Ost- und Westseite befinden sich die Anlieferfunktionen des Bahnhofs im Gebäudesockel. Im Mantelgebäude West werden auf den Ebenen -1 und ±0 vor allem Großflächen für den Einzelhandel realisiert. Auf der Zwischenebene +½ sind bahntechnische Nutzungen vorgesehen. Gleichzeitig wird hier die Schaltstelle des Bahnhofs sein.

Im zentralen Bereich des Hallenkreuzes sind in allen Ebenen große Öffnungen in den Decken, die dafür sorgen, dass Tageslicht bis auf die Bahnsteigebenen tief unter der Erde gelangt und eine gute räumliche Übersicht und klare Orientierung gewährleistet wird. Als zentrale vertikale Erschließungselemente verbinden sechs Panoramaaufzüge, die als Stahl-Glas-Konstruktion frei im Luftraum stehen, alle Ebenen miteinander. Diese Aufzüge ermöglichen eine direkte Verbindung der Bahnsteige des Nord-Süd-Fernbahnhofs mit der Bahnsteigebene +1 der Stadtbahntrasse Ost-West.

Um eine geradlinige und einfache Orientierung zu gewährleisten, sind die Treppenanlagen in ihrer Ausrichtung den jeweiligen Ebenen zugeordnet. Demzufolge sind alle Treppen, die die Bahnsteigebene des Nord-Süd-Fernbahnhofs mit den darüber liegenden Ebenen verbinden, parallel zu den Gleisen der Fernbahn ausgerichtet. Die kreuzend zur Nord-Süd-Bahnhofshalle verlaufende Bahnsteigebene +1 der Stadtbahnbrücke wird über Ost-West-gerichtete Treppenanlagen erschlossen.

Dem Erschließungskonzept folgend sind die Dienstleistungsangebote und Nutzungen der Deutsche Bahn AG, die Nord-Süd-ausgerichtete Bahnhofshalle flankierend, auf den Ebenen +½, ±0 und -1 angeordnet. Kommerzielle Nutzungen ergänzen das Angebot. Für den Fern- und Regionalverkehr sind in Nord-Süd-Richtung auf der 15 m unter Terrain gelegenen Ebene -2 vier Bahnsteige mit einer Breite von jeweils 11,40 m vorgesehen. Um auf die Trassenführung der angrenzenden Tunnelbauwerke zu reagieren, verjüngen sich diese Bahnsteige am jeweiligen nördlichen und südlichen Ende, und werden von Kopfbauten, in denen bahntechnische Nutzungen untergebracht sind, begrenzt.

Die Bügelgebäude

Zwei als Dreibund ausgebildete Gebäudescheiben überspannen die Ost-West-Trasse brückenartig, wobei die Gitterstruktur der Fassaden die Filigranität der Bahnhofsglashallen aufnimmt.
Das Stahltragwerk der Gebäudescheiben wird sichtbar vor die Fassadenebene gelegt und bestimmt somit auch den Charakter der Nord-Süd-Bahnhofshalle. Ebenso wie die tragende Konstruktion bildet auch die Außenfassade der Bügelgebäude mit der Bahnhofshalle eine gestalterische Einheit, indem sie in den Geschossen ±0 bis +4 gleichzeitig als Hallenaußenwand dient.

Aus dem Tragsystem der Bügeltürme ergibt sich ein regelmäßiges, annähernd quadratisches System aus Stützen und Riegeln, welches das Gebäuderaster widerspiegelt. Die Gründung erfolgt auf den Fernbahnaußenwänden sowie über ein System von Unterzügen in der Decke über der Ebene -1 des Fernbahnhofes. Die Lasten der Bügelgebäude werden über diesen Trägerrost in die Stützen der darunter liegenden Fernbahnebenen eingeleitet. Das Bahnhofsraster von 17,40 m entspricht zwei Bügelgebäudeachsen.

Im Bereich der Stadtbahnbrücken entsteht über 87 m eine freitragende Gebäudekonstruktion der Geschosse +7 bis +10. Das Konstruktionsprinzip mit außenliegenden Stützen ist auch im freitragenden Bereich oberhalb der Stadtbahntrassen beibehalten. Zur Abtragung der Lasten des Brückenteils ist ein außenliegendes Stahlfachwerk über die volle Brückenhöhe ausgebildet, in das die Außenstützen und Riegel integriert sind. Die Gesamtausdehnung der Bügelgebäude beträgt jeweils ca. 183 m x 22 m, basierend auf einem Achsraster von 8,70 m x 10,30 m. Die Gesamthöhe der zwölf Vollgeschosse beträgt ca. 46,00 m über der Eingangsebene ±0.

Die Erschließung des Bahnhofes und der Bügelbauten selbst entwickelt sich aus den städtebaulichen Rahmenbedingungen. Die Hauptadresse der Bügel befindet sich wie die Eingänge der Bahnhofshalle auf der Ebene ±0 und damit auf Straßenniveau. Die Erschließung an ihren Stirnseiten erfolgt über den nördlichen und südlichen Vorplatz.

Die Bügelgebäude sind in jeweils zwei klar voneinander getrennte Funktionsbereiche gegliedert. In den unteren Ebenen ±0 und +½ befinden sich, wie auch in der Verteilerebene -1 des Bahnhofes, vornehmlich bahnhofsbezogene Angebote in den Bereichen Kommerz, Gastronomie und Dienstleistung. Sie sind der überdachten Glashalle des Bahnhofes zugeordnet und von hier aus erschlossen. An den Seiten der Galerien gelegen, bilden sie funktional und räumlich eine Einheit mit der durch den Wechsel von Brücken und sich öffnenden Lufträumen geprägten Glashalle des Bahnhofes. Diese Nutzungen erstrecken sich bis in das Mantelgebäude (Sockel) bzw. unter die Stadtbahnbrücke in der Ebene +½.

Von den darüber liegenden zehn Vollgeschossen der Bügelgebäude sind neun für eine flexible Büronutzung ausgelegt. Die Kernzone der dreibündigen Struktur kann zum Teil mit in die Hauptnutzfläche einbezogen werden (Großraumbüros, Kombibüros). Sie dient jedoch neben der vertikalen und horizontalen Erschließung der einzelnen Mietbereiche vor allem der Unterbringung von Nebenräumen wie Archiven, Kopierräumen oder Teeküchen sowie den erforderlichen Sanitär- und Technikbereichen.

Das Fassadenraster von 1,45 m ermöglicht eine flexible Aufteilung der Grundrisse: Kleinere Büroeinheiten sind ebenso möglich wie die Organisation von Kombi- oder Großraumbüros. Eine Verbindung verschiedener Ebenen durch interne Treppenanlagen lässt zudem eine weitere Flächenausdehnung für einzelne Großnutzer zu.

Der Berliner Hauptbahnhof wird als größter Kreuzungsbahnhof Europas nicht nur als wichtiger Verkehrsknotenpunkt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Regierungsviertel Berlins dienen, sondern Dank seiner Mischnutzung mit kommerzielle Flächen und Büros einen belebten Gebäudekomplex darstellen, der die umliegenden Stadträume unterschiedlichen Charakters miteinander verbindet.

Projektinformationen:

  • Berlin
  • Deutschland
  • Architekt:
    Meinhard von Gerkan und Jürgen Hillmer
  • Wettbewerb: 1993, 1.Rang
    Bauzeit: 1996 - 2006
  • Bauherren:
    Deutsche Bahn AG
  • Fotograf:
    Tiefbau:
    Roland Horn, Berlin
    Hochbau:
    Marcus Bredt, Berlin